Frau Schmeitzner und die NATO

Eine e-Mail an die Redaktion zum Kommentar von Frau Birgit Schmeitzner über das Großmanöver Defender 2020 am 15.01.2020, ca. 6:45 Uhr auf Bayern 2.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ist ist löblich, den Beitrag von Frau Schmeitzner zum anstehenden Großmanöver „Defender 2020“ als Kommentar zu kennzeichnen. Dennoch stellen sich dem wachen Zuhörer aus mehreren Gründen die Haare auf.

Frau Schmeitzner darf gerne die NATO toll finden. Gerne darf sie zur Rechtfertigung der erheblichen Straßen- und Flurschäden im Zuge von Defender 2020 beitragen. Gerne darf sie in Zeiten der Klimadiskussion die massive Dieselvernichtung und das erwartete Feuerwerk mit scharfer Munition gutheißen, beides Dinge, die sich die NATO-Streitkräfte vorgenommen haben. Das mag man sogar als mutig empfinden, weil umwelt- und klimapolitisch sehr nah an der Auffassung einer zulässigen, wenngleich hoch umstrittenen politischen Partei.

Etwas weniger gerne darf Frau Schmeitzner bei Ihren eher übersichtlichen Überlegungen ausblenden, welche besondere Geschichte dem Russischen Volk bis 1945 speziell von Deutschland aufgezwungen wurde. Wie viel mal so viele Russen, Weißrussen und Ukrainer, verglichen mit der Zahl der Opfer des Holocaust, wurden damals nochmal von der Wehrmacht ermordet, Frau Schmeitzner? Waren das drei oder vier mal so viele? Sind sie sich wirklich ganz sicher, dass es „uns“ jetzt wieder zusteht, direkt vor der russischen Grenze Krieg zu spielen und im Zuge einer bedrohlich großen Materialschlacht herumzuballern, oder sprachen Sie im Auftrag interessierter Kreise? Sie sagten immerhin wörtlich, zitierend: „Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten.“ Das mag aus Ihrer Sicht
stimmen. Man könnte diese Conclusio allerdings auch in Grafenwöhr und mit einem Zwanzigstel des geplanten Aufwands umsetzen – eine Überlegung, die der Kommentatorin offenbar fremd ist.

Was zuletzt überhaupt nicht geht: die Sezession der Krim nach fast sechs Jahren der Klärung noch immer als Annexion zu bezeichnen und den Russen zu unterstellen, sie wären bereit und willens, in Europa Grenzen zu verschieben. Das ist nicht der Fall. Es handelt sich vielmehr um ein Propagandamärchen, das mit dem Ziel erzählt wird, unter dem Feindbild Russland exorbitante Rüstungsausgaben und militärische Aggression unter der immer fragwürdiger werdenden Führung der USA zu rechtfertigen. Ein Blick in den Zwei Plus Vier Vertrag und eine kurze Reflexion über die Ausdehnung der NATO seit der Öffnung des eisernen Vorhangs, zusammen mit einer Zählung der heißen Kriege, die die USA alleine seit 9/11 (2001) vom Zaun gebrochen haben, sollte selbst borniertesten Transatlantiker*Innen klar werden lassen, wer hier bereit ist, Grenzen zu verschieben – und wer sich das auf der anderen Seite nur einfach nicht gefallen lässt!

Ein unverhohlen kriegstreiberischer Kommentar zu diesem in keiner Weise konsensfähigen Thema, wie der von Frau Schmeitzner heute ausgerechnet zum Frühstück, sollte vorsichtig und kompetent gemacht sein. Das sind zwei Attribute, die in diesem Fall völlig fehlten! Auch wünscht man sich von einem Sender, auf dem stundenweise über den christlichen Glauben referiert wird, alles andere als Kriegspropaganda. Ein Blick in die Bibel, dort die Bergpredigt oder die zehn Gebote, „Du sollst nicht lügen … töten … begehren deines Nachbarn Öl, Gas und sonstige Rohstoffe“, könnte den Verdacht der Heuchelei ein Wenig abmildern.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schell

Antwort aus der Redaktion am 14.02.20

Sehr geehrter Herr Schell,

vielen Dank für Ihre Mail und Ihre sehr ausführlichen Anmerkungen zum Kommentar unserer Kollegin Birgit Schmeitzner über das Großmanöver Defender 2020.

Gerne nehmen wir als Leitung der Bayern2 radioWelt-Redaktion zu Ihrer Kritik Stellung.

Wir können Ihrer Argumentation folgen und verstehen auch Ihre Verärgerung.

Dennoch gibt dieser Kommentar die persönliche Meinung der Autorin wieder und keine Tatsachen.

Sicherlich kann man auch hier insbesondere über die Details unterschiedlicher Meinung sein.

Mit nochmaligem Dank für Ihr Interesse und der Hoffnung, dass Sie uns weiterhin gewogen bleiben, verbleiben wir mit herzlichen Grüßen!

Bayern 2, Leitung Redaktion Radiowelt

Ich habe meine Mail an Uli Gellermann weiter geleitet, der sie am 22.01.20 in der 44. Folge seiner Macht um Acht, einer regelmäßig beachtenswerten Kritik an der Tagesschau verwertete.