Kurzen Prozess gemacht

Ursprung dieser Geschichte ist ein Blogbeitrag von Uli Gellermann in der Rationalgalerie über miesen Journalismus in der Süddeutschen Zeitung. Der hatte ein interessantes juristisches Nachspiel. Der Verlauf und das Ende der Geschichte und der nachfolgende Bericht waren ebenfalls in der Rationalgalerie zu lesen.

Eine überraschende Wendung nahm der Prozess Süddeutsche Zeitung gegen den Berliner Journalisten Filmemacher und Blogger Uli Gellermann. Zu einer Verhandlung kam es gar nicht, Freispruch, erledigt. Und das kam so.

Der Beklagte und in erster Instanz am gleichen Amtsgericht zu einem Bußgeld von 1000 Euro verurteilte Uli Gellermann begründete seine satirische Intention. Wo ist der fragliche Artikel erschienen? In der Rationalgalerie, einem Blog, der sich unter anderem mit Medienkritik befasst. Einem Blog, der in etwa zu Zeiten der Hartz IV Reform begründet wurde aus der ehrlichen Empörung des Galeristen über die damit einhergehende Propaganda, die diesen Einschnitt in den Sozialstaat unisono als Reform darstellte. Worüber sich Gellermann aufrege – selbst das Verfassungsgericht sehe es als Aufgabe der Presse an, über Prominente, zu denen man Donald Trump zweifellos zählen dürfe, Klatsch und Tratsch zu verbreiten. Warum das Verfassungsgericht das so sehe, wisse man allerdings nicht genau.

Alsbald rief der ruhige, freundliche Richter den Redakteur herein, den Urheber des fraglos flachen Artikels über Trump, den Gellermann so ungewohnt explizit, die journalistische Leistung gewollt spiegelnd, flegehaft abgekanzelt hatte. Name, Wohnort, Familienstand. Beim Wohnort ein kurzes Aha im Publikum: Herr Wetzel lebt in den USA und ist damit quasi ein physischer Transatlantiker – zur Verhandlung und evtl. noch wichtigeren Dingen mit seiner ebenfalls und sicher nicht minder transatlantisch orientierten Chefredaktion in München angereist.

Zur Sache wenige, sensationell kurz und lässig gestellte Fragen des Richters: wann und wie haben Sie vom Gegenstand des Verfahrens, der eingeklagten, vermeintlichen Verbalinjurie „Arschloch“ erfahren? Antwort: Aus der Chefredaktion in Deutschland, und dass diese rechtliche Schritte einleiten wolle. Der Richter: haben Sie selbst etwas unternommen? Antwort: nein. Darauf die gerichtliche Aussage: einen Strafantrag im Sinne §77 kann nur der Verletzte selbst stellen. Scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Damit entfällt der Grund für ein Strafverfahren. Nach kaum fünf Minuten war der offensichtlich und nach eigener Aussage nicht beleidigte Redakteur wieder draußen. Plädoyer der Verteidigung: Verfahren einstellen. Der junge, freundliche Staatsanwalt sieht es genau so. Die Urteilsverkündung und Begründung im Namen des Volkes: das Verfahren wird mangels Grund eingestellt, der Beklagte Uli Gellermann frei gesprochen, die Kosten trägt der Staat. Keinerlei Zweifel und keine juristische Dialektik, sondern ein vollkommen klarer Fall.

Es bleiben trotz der heiteren Erleichterung, die dieses vollkommen vernünftige Urteil zur Folge hatte, Fragen. Wie kann es sein, dass in solch eindeutiger Lage eine Richterin in erster Instanz einige Zeit damit verbringt, dem krankheitsbedingt nicht angereisten Angeklagten seine Verhandlungsfähigkeit nachzuweisen? Man darf eine Kompetenzüberschreitung vermuten. Wie kann es zweitens sein, dass die Richterin angesichts einer Klage des Verlags ein Urteil spricht, ohne zu prüfen, ob überhaupt die Voraussetzung für ein Verfahren vorliegt? Einem Nicht-Juristen könnte das Wörtchen Anfängerfehler einfallen. Lassen wir das – Justitia ist blind.

Am Besorgnis erregendsten erscheint jedoch der Zustand der wirtschafts- und kapitalnahen Chefredaktion der einstmals stolzen deutschen Tageszeitung, die völlig zu Recht nicht nur in der Südhälfte der Bundesrepublik vom wachen Publikum mit täglicher Vorfreude gelesen wurde. Ein Gerichtsverfahren also? Ja? Eine Machtdemonstration gegen einen einzelnen Blogger, die man sich aus der Portokasse leisten kann? Na klar. Noch peinlicher als die vollendete Bauchlandung am Amtsgericht in der Nymphenburger Straße wäre jede noch so feinsinnige Replik im eigenen Blatt gewesen. Man kann (und hier spare ich mir ein wohl bekanntes Wörtchen) … eben weder schön schreiben noch klagen. Und das ist auch gut so.