Im Corona-Trümmerfeld: Diskurs, Aktivitäten, Konsequenzen

Einigkeit und Recht und Freiheit? Im Gegenteil. Zu Beginn des so eben beschlossenen „Lockdown Light“ sind diese Begriffe zu Worthülsen geworden. Wie sind wir denn da nur hineingeraten? Was ist aus dem öffentlichen Diskurs geworden? Der war und ist in einer Demokratie doch immer gerechtfertigt, in harten Zeiten ganz besonders. Schon Willy Brandt sagte: „Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden der Demokratie finden, und dies ist ganz wörtlich gemeint.“ Einverstanden und in diesem Sinne!

Die Bundesregierung regiert ohne parlamentarische Kontrolle auf Basis eines von ihr selbst ausgerufenen Notstands, der Epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach §5 IfSG. Was die Regierung dabei tut, ist längst nicht allgemeiner Konsens. So riet gerade eben die Kassenärztliche Bundesvereinigung zusammen mit diversen anderen Ärztevereinigungen per Positionspapier davon ab, Kultur, Sozialleben, Wirtschaft und Freizeit allgemein zu beschneiden. Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. klärt auf, im gleichen Sinne. Führende Mediziner aus Harvard, Stanford und Oxford verfassten die Great Barrington Erklärung, die in diverse Sprachen übersetzt und von über 11.000 einschlägigen Wissenschaftlern, über 30.000 Fachleuten und mehr als einer halben Million wachen Bürgern weltweit unterzeichnet wurde. Diese Erklärung empfiehlt mit guten Gründen, das öffentliche Leben wegen der verheerenden Auswirkung einschränkender Maßnahmen eben gerade nicht herunter zu fahren, sondern lediglich vulnerable Gruppen vorübergehend vor der Corona-Infektion zu schützen.

Viele Autoren verfassten medizinische, statistische, wirtschaftliche, soziale, historische, politische und kulturelle Analysen, die hilfreiche Einschätzungen der Gefahren durch die so genannte Pandemie und die Nebenwirkungen der Abwehrmaßnahmen bieten. Längst sind statistische Daten verfügbar, die belegen, dass am Coronavirus Erkrankte weder einen frühen noch einen sicheren Tod sterben, sondern nahezu deckungsgleich einer Altersverteilung der Mortalität unterliegen, die auch ganz ohne das Virus für uns alle gilt. Mit anderen Worten: Wir werden im Mittel gut achzig Jahre alt, mit oder ohne Corona. Aus der kalten Sicht der Zahlen entfällt damit die Lebensgefahr, die man dem Virus SARS-CoV-2 noch immer zuschreibt, oder besser: der Lungenkrankheit Covid-19, die dieses Virus bei einer kleinen Anzahl der Infektionsfälle auszulösen vermag.

Allgemein besteht Konsens darüber, dass Covid-19 sich, wie eine Virusgrippe, in manchen Fällen zu einer äußerst unangenehmen, bei alten und kranken Patienten gar zu einer tödlichen Lungenkrankheit auswachsen kann, vor der man sich so gut es geht schützen sollte. Über die Maßnahmen, mit denen dieser Schutz zu bewerkstelligen ist, könnte man also debattieren und das auf guter Basis. Kaum jemand zweifelt ja am althergebrachten Händewaschen in der Erkältungszeit, oder den Geboten, die Finger aus dem Gesicht zu nehmen und Abstand zu Menschenansammlungen zu halten. Aus persönlicher Erfahrung kennt fast jeder die gesundheitlichen Konsequenzen, falls man diese einfachen Regeln im Winter nicht befolgt. Es gibt andererseits gut begründete Einwände gegen die Wirksamkeit des Novums, einen Mund- und Nasenschutz im öffentlichen Raum zu tragen, oder gegen staatlich angeordnete Kontaktsperren in Verbindung mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Diese stellen nicht nur eine Beschneidung von Grundrechten dar, sondern haben sich auch in etlichen anderen Ländern keineswegs als potente Schutzmaßnahmen bewährt.

Die Diskussion darüber wird von der Politik und mit ihr leider auch von vielen Mitmenschen buchstäblich verweigert. Man glaubt trotz widersprüchlicher bis gegenteiliger Datenlage an Maske und Lockdown, ohne über die erheblichen sozialen, psychologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Konsequenzen nachzudenken.

In vielen Städten bilden sich daraufhin Bürgerbewegungen gegen die rigide staatliche Gängelung. Ich selbst wurde, irritiert von Schulschließung und grotesken Hygienemaßnahmen im Gymnasium meiner Kinder, zum Demo-Redner auf Kleinkundgebungen, die selbst in so beschaulichen bayerischen Kleinstädten wie Königsbrunn, Kempten und Landsberg mit Hunderten von Teilnehmern stattfinden – eine persönliche Entwicklung, für deren Vorhersage ich noch vor einem Jahr jede Wahrsagerin erst ausgelacht und dann ohne zu bezahlen, bestätigt in all meinen Vorurteilen zurückgelassen hätte.

Wie kann es sein, dass der Gesetzgeber Widerspruch ungehört verhallen lässt? Was versetzt Bundes- und Länderregierungen überhaupt in die Lage, so zu agieren? Sind es die Mehrheitsverhältnisse?

Die Mehrheit der Bundesbürger wurde ohne Zweifel mit einer einzigartigen, höchst manipulativen Medienkampagne auf Regierungslinie gebracht. In fragwürdigster Weise nutzte man dabei die menschliche Todesangst vor dem Ersticken. Es gelang durch Vermeidung jeder Diskussion unter dem Rat eines angesichts der Auswirkungen viel zu dünn besetzten Expertengremiums, den Regierungskurs als alternativlosen, einzig möglichen Weg aus der Krise zu vermitteln. Das stimmt freilich nicht. Auch gelang es, jeglichen Widerspruch, egal wie fundiert, in perfider Weise zu unterbinden. Namen wie Wodarg oder Bhakdi zu nennen, löst heute erstaunlich emotionale Reaktionen in jeder Diskussion aus, obwohl deren Standpunkte mitnichten außerhalb der bereits genannten, von vielen Fachleuten unterstützten Positionen liegen. Der Diskurs darüber wurde regelrecht vergiftet.

Doch damit nicht genug. Kritische Geister wurden und werden regelmäßig öffentlich bloßgestellt oder gar eingeschüchtert. Der Präsident der Bundesärztekammer, augenscheinlich ein erfahrener, leitender Arzt, musste unlängst nach in einer Talkshow geäußerten Zweifeln an der Sinnhaftigkeit der Maskenpflicht öffentlich abschwören, was mich entfernt an das Ergebnis des Verfahrens der heiligen Inquisition gegen Galileo Galilei im Jahre 1616 erinnerte und mich seitdem auf das „und sie nützt doch nichts“ des prominenten Ärztevertreters warten lässt. Die Kritik aus der in dieser Weise erniedrigten, verfassten Ärzteschaft an diesem Vorgang war längst nicht so breit wie man meinen könnte, dafür aber deutlich.

Auf einer Kundgebung in Berlin wurde ein Rechtsanwalt der Querdenker-Szene Hand in Hand mit seiner Partnerin derartig handgreiflich von der Polizei aus dem Verkehr gezogen, dass es dazu berechtigten medialen Widerhall gab.

Online-Plattformen wie YouTube, die längst eine größere Reichweite als das öffentlich rechtliche Fernsehen hat, lassen Videos und ganze Kanäle verschwinden, wenn der Inhalt zur Corona-Pandemie nicht der Doktrin der WHO entspricht. Eine Zensur findet also statt, auch wenn in Art. 5 GG das glatte Gegenteil steht.

Ich erinnere mich Frau Rechtsanwältin Beate Bahner, die Anfang April 2020 im Zuge des ersten Lockdowns titelte: „In zwei Wochen vom Rechtsstaat zur schlimmsten, menschenverachtendsten Tyrannei, die die Welt je gesehen hat.“

Die Antwort der Bundesrepublik Deutschland auf diese, trotz aller Überspitzung durchaus ernst gemeinte, aufrüttelnde Botschaft waren Hohn, Spott, eine kräftige Portion Chauvinismus, Polizeikontakt und ein Aufenthalt in der Psychiatrie.

Auch an das „Joker-Video“ möchte ich erinnern. Ich empfehle, es einfach noch einmal anzusehen. Zu erkennen ist eine ebenso gewöhnungsbedürftige wie schmerzhafte Satire auf die Corona-Politik und die deutsche Mentalität, zu der kein Satiriker bisher so im Stande war, wie der von YouTube zensierte Ken Jebsen am 22. April 2020, also vor einem halben Jahr.

Bizarre Erfahrungen kann man indes auch im privaten Bereich und im Freundeskreis machen. Ich bekam für meine sorgfältig begründete Kritik an den PCR-Massentestungen oder an sinnlosen Einzelmaßnahmen im Rahmen der überall ins Kraut schießenden Hygienekonzepte keineswegs nur argumentativen Widerspruch von meinen Mitmenschen zurück. Zu anderen Themen hätte man mich nach meiner Einschätzung als promovierter Chemiker gefragt, nicht aber zu Corona. Ob Einzelhändler, Handwerker, Betriebswirt, Informatiker, Ingenieur, Buchhändler, Schreiner, Landwirt oder Architekt – so fachfremd wie überzeugt zitierte man Halbwissen aus Podcasts, moralisierte über meine nonkonforme und daher mutmaßlich unmenschliche Einstellung, verwies auf die völlig unübersichtliche Verordnungslage, fühlte die Gunst schlecht abschätzbarer Mehrheitsverhältnisse, oder interpretierte schwer nachvollziehbare Sachzwänge. Man müsse doch etwas tun, müsse doch im Kampf gegen die Pandemie solidarisch sein. Scherzhafte Bemerkungen wie „einverstanden, aber sollen wir dafür wirklich Fenster mit blauer Farbe streichen?“ waren dem tiefen Ernst der Lage unangemessen und deshalb nicht willkommen.

In manchen Fällen wurde mir kurzerhand die Kompetenz abgesprochen – ich sei doch gar kein Experte. Mein Einwand, auch Virologen seien schon wegen der Interdisziplinarität ihres Fachs nicht selbstredend mit mathematischem oder biochemischem Wissen überversorgt: pure Arroganz! Etiketten wie Covidiot, Verschwörungstheoretiker, Aluhut waren zur Hand, während eine Sachdiskussion nicht selten völlig ausblieb. Der Antrieb für dieses befremdliche Kommunikationsverhalten war oft nicht einmal der Wunsch, unsere Mitmenschen vor einer schweren Krankheit zu bewahren, sondern die Furcht vor Repressalien wie empfindlichen Bußgeldern, Jobverlust oder medialer Anprangerung. Es ging schlicht um die diffuse Gefahr, durch falsche Positionierung Bequemlichkeiten oder Besitzstände zu verlieren. Neuerdings scheint manchen der selbstlose Wunsch in den Sinn zu kommen, einer nicht näher definierten, parteiübergreifenden Mehrheit besonders guter Menschen anzugehören, die große Sorge um die Gesundheit ihres anonymen Gegenübers empfinden. Das ist als Wendung zum Positiven zu begrüßen – schließlich kommen wir ja unter anderem aus den sprichwörtlichen Ausprägungen deutscher Nächstenliebe im innerstädtischen Straßenverkehr. Das rechtfertigt aber dennoch keinen zwecklosen Aktionismus.

Die Vorgehensweise, mit der Widerspruch ausgemerzt wird, gleicht im Gegensatz zu diesem Neo-Altruismus dem Gaslighting, einer Spielart des Psychoterrors. Wer anders denkt, muss letztlich am eigenen Verstand zweifeln, während Verkünder der erwünschten Meinung mit Bundesverdienstkreuzen dekoriert werden. So wurde der durchaus widersprüchlich argumentierende Prof. Christian Drosten für seinen Podcast, oder die gegen Prof. Bhakdi polemisierende YouTuber*In Mai Thi Nguyen-Kim unlängst von Bundespräsident Steinmeier mit diesem ehrwürdigen, militärisch anmutenden, deutschen Orden bedacht.

Hartnäckigerer Widerstand, wie er beispielsweise aus der Querdenker-Szene kommt, erfährt öffentliche Diffamierung, wird allen Beobachtungen zum Trotz in die rechte Ecke gestellt und mit behördlicher Schikane überzogen. Ebenso sinnlose wie martialische Polizeigewalt auf Kundgebungen, bis hin zu Verhaftungsszenen, die man sich bislang nur in faschistoiden Diktaturen vorstellen konnte, prägen das Bild. Kritik am staatlichen Vorgehen liest man nicht etwa in den durch Zwangsgebühren oder vom Großkapital mit Geld versorgten Leitmedien, sondern in crowdfinanzierten Blogs wie den Nachdenkseiten, Multipolar, Rubikon, oder KenFM, die ihrerseits gegen die aus allen Richtungen tönende Diffamierung ankämpfen müssen, sie seien zu rechts, zu links, zu esoterisch oder zu verschwörungstheoretisch, selbst wenn sie, mit Blick auf ihre Autorenlisten teilweise mit drastisch mehr Personal und Sachverstand ausgestattet sind, als beispielsweise das ehemalige Nachrichtenmagazin Spiegel, das bis zum intellektuellen und wirtschaftlichen Touchdown keine kritische Silbe über Geldgeber wie die Bill and Melinda Gates Foundation verlieren würde.

Wohin soll das führen? Ganz ehrlich: keine Ahnung. Sicher ist, dass der Staatshaushalt der Bundesrepublik durch das Abwürgen großer Teile der Volkswirtschaft schwer beschädigt ist. Einbußen auf der Einnahmenseite wurden durch politischen Aktionismus wie die unmotivierte Senkung der Mehrwertsteuer und durch Kollateralschäden wie die sinkende Lohn- und Einkommensteuer ausgelöst. Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld, riesige Summen für die Pharmaindustrie zwecks hochriskanter Entwicklung eines Impfstoffs und, mir unverständlich, ein noch immer steigender Rüstungsetat belasten die Ausgaben. Aus dem Gesundheitsbudget werden drei- bis vierstellige Millionenbeträge für PCR-Tests oder offenbar ohne jeden Sachverstand bestellte Masken entnommen. Die allseits akzeptierte Konsequenz ist eine erhebliche Neuverschuldung. Einer kompletten Schülergeneration fehlt inzwischen ein halbes Jahr Unterricht – unwiederbringlich verlorene, wertvolle Ausbildungszeit, die sich tendentiell eher nicht in höherem Wohlstand manifestieren wird. Kulturell erscheint die Bundesrepublik ohnehin buchstäblich enthauptet und die Protagonisten sind schon jetzt zum Teil von Armut bedroht.

Dass desolate Staatsfinanzen nicht unbedingt einem besseren Gemeinwohl oder gar einem noch besseren Gesundheitssystem förderlich sein werden, ist klar, ebenso, dass mit Covid-19 nicht die letzte Infektionswelle durchs Land gegangen ist.

Unklar bleibt dagegen, ob sich die eingeführten, üblen Diskussionsgewohnheiten auf allen Ebenen wieder durch Dialog, Wertschätzung und Respekt ersetzen lassen. Ich bin bei diesem Punkt, offen gestanden, pessimistisch. Wir könnten es als Demokratie um so viel besser, als unter unserem derzeitigen Exekutivregime und seinen ebenso dominanten wie fachlich unbeleckten Meinungsträger*Innen.

Ich erinnere an Hermann Lübbe: „Wer glaubt, die Antwort, die endgültige Lösung zu haben, wird sich früher oder später berechtigt fühlen, Gewalt anzuwenden. Die Selbstermächtigung zur Gewalt ist ein unvermeidbares Resultat dieses Denkens.“