Es geht um Energie

Alle reden über globale Erwärmung — reden wir endlich über Energie.

Während der Hitzewelle 2018 haben wir viel über Wetter und Klima diskutiert — unter dem Eindruck von Waldbränden, Ernteausfällen, Bildern aus dem Weltall vom braun gebrannten Mitteleuropa und Fischsterben im 28 Grad warmen Rhein. Nun, da es kühler wird, geht das Thema wohl wieder aus dem Fokus. Einig waren wir uns keineswegs: Die einen sagen, das sei eben ein heißer Hochsommer gewesen. Andere sagen, der Mensch war schuld an der Hitze. Was zu tun ist, sagen beide nicht. Da kann man nichts machen, zu groß die Sache, zu unbequem die Folgerungen. Nicht wir müssen zuerst was tun, und der individuelle Einfluss ist sowieso viel zu klein. Der Flieger fliegt auch ohne mich, wieso also nicht reisen? Die Autobahn ist auch ohne mich verstopft, wieso soll ausgerechnet ich aufs Auto verzichten? Und man kann ja auch gar nicht sagen, ob es dann besser wird. Und überhaupt sind die vielen Chinesen, die gerade den Kapitalismus für sich entdecken, noch viel schlimmer. Deren Automarkt ist uns allerdings groß und wichtig.

Tenor: Wir sind nicht sicher, was passieren wird. Wird schon gut gehen. Wir müssen oder können ja sowieso nichts tun. Diese Diskussion ist völlig überflüssig, lenkt vom Kern ab und bleibt in den viel zu engen Grenzen unserer Gewohnheiten. Aber schön, darüber geredet zu haben, da fühlt man sich doch gleich viel besser!

Wie blind muss man sein? Darf ich das eigentliche Thema auf den Tisch legen? Es geht um den Energieverbrauch in den vermeintlich reichen Ländern!

Es geht um unser aller ignorantes Verhalten der Natur gegenüber. Ich behaupte, wir nehmen eine Erwärmung um ein, zwei, drei oder vier Grad Celsius billigend bis achselzuckend in Kauf. Eine solche Erwärmung – seien wir doch mal ehrlich – ist uns allen gerade hier in Mitteleuropa doch nicht als etwas wirklich Schlimmes zu verkaufen. Andere Folgen, die wir zwar sehen, aber komplett ausblenden oder falsch interpretieren, sind Hunger, Krieg und Völkerwanderung. Diejenigen, die angefangen haben, ihr Glück woanders zu suchen, nennen wir „Wirtschaftsflüchtlinge“. Das geht ja gar nicht– die sind doch bloß faul! Besitzstandswahrer des Ressourcenverbrauchs heißen Klima-Skeptiker. Das könnte man auch anders sehen und anders benennen.

Denkt man unsere Lebensweise logisch in die Zukunft, so arbeiten wir ganz sicher nicht an der friedlichen Koexistenz aller Bewohner des Planeten, sondern steuern sehenden Auges immer tiefer in die Katastrophe.

Diese Katastrophe passiert schon seit längerer Zeit überdeutlich vor unseren Augen. Sie ist dokumentiert in einer nie dagewesenen Qualität. Doch nur wenige versuchen auch nur ansatzweise, sie zu verhindern. Die Ausrottung eines Großteils der Menschheit scheint das Ziel zu sein. Richtig in Fahrt wird der Prozess beim Wegfall der fossilen Energierohstoffe Öl, Gas und Kohle kommen. Die Versteppung der Äcker wird kaum noch bemerkt, Bedenken gegen galoppierenden Flächenfraß werden von blinden Juristen auf Basis doofer Gesetze beiseite gewischt. Unser heutiger Luxus lässt uns denken: Mich wird es nicht treffen. Das ist leider völlig falsch. Wir befinden uns zwar ganz oben, haben daher aber auch logischerweise die größte Fallhöhe.

Mut zum Denken: Bauen wir ein Energie-Argument!

Menschen brauchen Nahrung. Eine erwachsene Frau hat einen täglichen Energiebedarf von knapp unter, ein Mann etwas über 2.000 Kilokalorien, die sie oder er mit der Nahrung aufnehmen muss. Man kann Kilokalorien in Kilojoule oder Kilowattstunden umrechnen – *verschiedene* Einheiten für die gleiche physikalische Größe: Energie. Ein Mensch braucht 2.000 Kilokalorien, also 8.400 Kilojoule oder 2,3 Kilowattstunden Energie am Tag, um satt sein zu können. Wer viel mehr physiologischen Brennwert zu sich nimmt, setzt Fett an, und wer viel weniger bekommt, verhungert. Merken sie sich diese Größenordnung: zwokommadrei Kilowattstunden zum Leben. Pro Tag. Falls es kalt ist oder harte Arbeit verrichtet werden muss, ist es entsprechend mehr, denn es gilt der Energieerhaltungssatz.

In Afrika, sagen wir in Äthiopien, passiert das Folgende – und das gar nicht so selten: Ein Bauer bewirtschaftet mit seiner Familie ein Feld. Er muss es in Handarbeit bewirtschaften. Das ist nichts Besonderes – die meisten Bauern dieser Welt haben keine Traktoren, keinen Maschinenpark.

Obwohl alle helfen, schafft er es eines Tages nicht mehr, seinen physiologischen Tagesbedarf vom Feld zu holen, weil seine Ernte schlecht war. Er verlässt sein Feld, verkauft es vielleicht, zieht in die Stadt, sucht Arbeit, ernährt sich von Lebensmitteln, die andernorts mit vergleichbaren landwirtschaftlichen Methoden hergestellt werden. Im positiven Fall. Wenn ihm das nicht gelingt, verhungert er, und seine Angehörigen auch. Den Umweg, es anderen wegzunehmen, besprechen wir jetzt mal nicht, denn es läuft aufs Gleiche hinaus: Irgendjemand leidet Not oder stirbt.

Es geht beim menschenwürdigen Überleben um gut zwei Kilowattstunden Nahrung pro Tag.

Schwenk. In Deutschland tankt ein übergewichtiger Besitzer eines Sport Utility Vehicels 70 Liter Sprit in seinen Zwei-Tonnen-Stahlkoloss und zahlt gut 100 Euro dafür. Das Geld dafür ist bei seinem Stundenlohn in ein paar Stunden, bei Mindestlohn in anderthalb Tagen verdient. 70 Liter Sprit entsprechen 700 Kilowattstunden und reichen mit seinem SUV vielleicht für 700 Kilometer. Der handarbeitende Bauer im Entwicklungsland braucht, genau wie unser Autofahrer, 2,3 Kilowattstunden Nahrung am Tag. Diesel nutzt er gar nicht als Energiequelle, nur die Biomasse, die er isst. Dazu später.

Sie sehen mir an dieser Stelle bitte nach: Ich rechne, auch wenn Diesel nicht genießbar ist, in Energieeinheiten – nur in Größenordnungen und über den großen Daumen. Das darf ich, denn der Energieerhaltungssatz gilt für alles und jeden. Der Energieerhaltungssatz wird bisweilen falsch interpretiert. In den allermeisten Fällen ist Energieumwandlung nämlich nur in eine Richtung möglich. Weder Nahrung noch Diesel kann man wirklich recyceln. Nahrung wächst unter bestimmten Umständen vielleicht nach, Diesel sicher nicht. Die Richtung der Umwandlung steht bei diesem Naturgesetz quasi im Kleingedruckten, dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.

Bauen wir weiter an unserem Argument

Unser Tankstellenkunde ist wohl genährt. Ausreichend Nahrung ist für ihn kein Thema, erst recht kein großer Posten in seiner Budgetplanung: 365 Tage im Jahr bekommt er seine 2,3 Kilowattstunden. Wahrscheinlich bekommt er sogar etwas mehr, denn er kämpft ja mit dem Übergewicht. Sagen wir, rund 1000 Kilowattstunden Nahrungsenergie stehen unserem Freund, dem Autofahrer, pro Jahr zur Verfügung.

Wenn er wollte auch mehr, aber er verzichtet aus gesundheitlichen Gründen. Ja, er achtet sogar darauf, sich ausgewogen und gesund zu ernähren, was eine gewisse Auswahl, also ein Überangebot, erfordert. Überangebot? Ja: Was nicht gekauft oder verbraucht wird, schmeißen wir weg. Geldsorgen hat er vielleicht auch: Sein Kredit für das Auto und seinen Wohnsitz muss bezahlt werden, das plagt ihn manchmal. Der Preis für die Nahrung plagt ihn nicht wirklich, die gibt’s, falls alle Stricke reißen, immer noch bei Aldi. Bauern müssen die Nahrung für ihn herstellen , denn er hat Wichtigeres zu tun, ist vielleicht Steuerberater, vielleicht als Ingenieur bei einem Automobil-Zulieferer beschäftigt. Wie kann das funktionieren, wenn es doch unser anderer Freund im Entwicklungsland kaum für die eigene Familie hinbekommt?

Die Lösung: In den reichen Ländern wird industrieller Landbau betrieben. Großmaschinen bestellen die Felder, Düngemittel treiben die Pflanzen aus dem Boden, Pflanzenschutzmittel schützen die Pflanzen, und schier unerschöpfliche Diesel-Mengen sind stets überall für Geld zu haben. Das macht es um so vieles leichter. Maschinenhersteller sorgen dafür, dass die Landmaschinen immer noch größer werden und die Arbeitsgeschwindigkeit auf den Feldern steigt – industrie-typische Rationalisierung. Freilich verdienen Bauern traditionell nicht viel mit ihrer Ernte und Diesel für den Maschinenpark ist selbst steuervergünstigt eine bedeutende Position. Das System läuft trotzdem. Energetisch betrachtet essen wir Diesel. Man fragt sich vielleicht nicht, wieso, aber doch, wie lange das noch gut gehen kann.

Ein Zwischenschritt. Denken wir uns aus dem landwirtschaftlichen Stoff- und Energiestrom doch mal das Geld weg. Geld ist bekanntlich nur ein Tauschmittel und zudem Vertrauenssache; einen realen Wert repräsentiert es nicht. Sagen wir, unsere Landwirte müssten für sinnvollen Tauschhandel zumindest die Energie erwirtschaften, die sie für die Bestellung ihrer Felder verbrauchen. Falls nicht, hat das Ganze energetisch keinen Sinn. Der Bauer muss seine Felder aufgeben und darauf vertrauen, dass andere seine Nahrung herstellen. Es gilt der unerbittliche Energieerhaltungssatz. Nicht ganz, die Sonne hilft ja sogar: Sie befeuert die eigentliche Biosynthese und das Pflanzenwachstum – eine Art kostenlose Subvention.

Sie ahnen vielleicht, worauf diese Geschichte hinaus läuft: Geld kann man verdienen, der eine Manager mehr, der andere Bauer weniger. Nur keinesfalls ist von einem Mais- oder Roggenfeld der verwertbare Brennwert zu holen, der für die Bestellung des Feldes samt der anhängigen Logistik, Aufwand für Stahl- und Maschinenherstellung aufgewendet werden muss. Auch steht nirgends geschrieben, dass industrieller Landbau für alle Zeiten erfolgreich sein wird.

Unser Freund im Entwicklungsland schafft es vielleicht mit seiner Hände Arbeit auf niedrigstem Niveau. Der europäische Bauer hilft sich mit fossil angetriebenen Maschinen in beeindruckender Größe, Hochleistungs-Saatgut von Bayer-Montsanto, Düngemitteln und Chemikalien. Damit lässt sich der Ertrag pro Hektar im Vergleich zur Handarbeit vervielfachen. Nur: Bekommt der Traktor keinen Diesel, steht er still. Pflanzenöl von den Feldern zu holen und daraus synthetischen Sprit zu machen, darf aus heutiger Sicht als gescheiterter Versuch angesehen werden. Von einer nachhaltigen Lösung ist dabei schon länger nicht mehr die Rede – der Biodiesel würde nicht reichen. Da ist also, trotz Pflanzenschutz, irgendwo der Wurm drin.

Als es noch keine industrielle Landwirtschaft gab, wurde in Europa massiv gehungert. Europa war einmal ein Auswanderungs-Kontinent, so wie es Afrika heute ist. Die Not der Europäer führte unter anderem zur Besiedelung Nordamerikas durch den weißen Mann und zu einer überwiegend kriegerischen Geschichte, die bis vor das Mittelalter zurückreicht. Man beraubte „die Anderen“.

Unsere Felder sind auch heute energetisch nicht rentabel, und das ist ein riesiges Problem, dem wir uns stellen müssen. Wir haben es bloß noch nicht gemerkt, weil das exzessive Verprassen von Energie ein wesentliches westliches Kulturgut ist. Wie wäre es im Hinblick auf die globale Ernährungssituation, weltweit an solar betriebenem Ackerbau zu arbeiten? Tut das jemand?

Gerade haben wir im Gedankenexperiment das Geld gestrichen. Lassen wir das: Geld kann man aus dem Nichts herstellen, und so wird das auch weiterhin gemacht, solange man sich davon etwas – also zum Beispiel Diesel und Maschinen – kaufen kann. Das geht sogar auf Pump!

Das entscheidende Gedankenexperiment können Sie jetzt selbst machen. Denken Sie sich das Öl weg und den Treibstoff, den man daraus gewinnt. Das ist gar nicht unrealistisch – ohnehin kommt nur eine verschwindende Menge dessen, was wir tagtäglich verbrennen, aus Europa. Öl muss importiert werden. „Import“ ist im Falle von Öl ein beschönigender Sammelbegriff für alle Arten der Besitzübernahme: vom mir nicht exemplarisch bekannten Fair Trade bis hin zur korrupten Stärkung von Herrscherhäusern wie dem in Saudi-Arabien und sogar bis zum offensichtlichen kriegerischen Raub, zum Beispiel in Libyen oder im Irak, demnächst vielleicht im Iran, und in Syrien sowieso.

Öl wird nirgends nachhaltig hergestellt, sondern mit ständig wachsendem Aufwand aus dem Boden gepumpt – bis der Boden nichts mehr hergibt. Auf den hier gemeinten Boden haben wir noch nicht einmal direkten Zugriff, denn der letzte Boden mit Öl darunter befindet sich auf anderen Kontinenten.

Ich finde es denkwürdig, dass das in unserem Alltag kaum jemanden interessiert.

Die Prasserei mit sowohl fremden als auch versiegenden Rohstoffen geht weiter. Spazieren Sie doch mal über eine Autobahnbrücke. Meditieren Sie vor einem fossilen Kraftwerk.

Schauen Sie sich im Zuge des Gedankenexperiments ihren persönlichen Energieverbrauch an. Vergleichen Sie sich mit unserem Freund, dem Bauern aus dem Entwicklungsland.

Denken Sie an Folgendes:

  • Ein Mensch kann am Tag mit harter körperlicher Arbeit etwa 1 Kilowattstunde nutzbarer Energie herstellen.
  • Dafür muss er ein energetisch Mehrfaches an Nahrung aufnehmen, sonst macht er das nicht lange – es ist nicht einfach, sondern richtig harte Arbeit, dauerhaft 100 Watt Leistung zu bringen! Ein Auto „kann“ die tausendfache Leistung.
  • Ein Liter Sprit bringt 10 Kilowattstunden – circa zehn Arbeitstage.
  • Eine Tankfüllung (50 Liter) sind der energetische Gegenwert jahrelanger Arbeit. Rechnen Sie. Ein Jahr hat in Deutschland gute 220 Arbeitstage zu 8 Stunden, der Rest ist Freizeit. Ich frage mich und Sie: Wer hat sich seinen Sprit eigentlich verdient?
  • Nirgends auf der Welt entsteht neues Öl. Es muss also irgendwann zur Neige gehen.

Stellen Sie mit Ihrer harten Arbeit wirklich etwas Wertvolleres her als die Energie, die sie verbrauchen? Sind Sie auf zusätzliche Primärenergie angewiesen, genau wie unsere Bauern? Was tun Sie bei Stromausfall oder wenn die Tankstelle einmal nichts zu verkaufen hat?

Ich wäre glücklich, wenn wir uns dieses Energie-Problem wenigstens einmal voll bewusst machen würden. Keine Sorge: Auswege gibt es und einige wenige arbeiten auch daran. Fangen wir doch an, darüber zu reden. Um darüber reden zu können: Fangen wir auch mal an zu rechnen! Stellen wir für jede Maßnahme eine Energie- und Stoffbilanz auf. Sie werden staunen, vielleicht aber auch verzweifelt sein.

Hinter dem Tal, das Sie intellektuell durchschreiten müssen, liegt die Chance auf eine friedliche Zukunft der Menschheit. Es lohnt sich also, in Energie-Einheiten zu denken.

( Dieser Beitrag erschien am 17.08.2018 auf Rubikon )