Postapokalyptische Mobilität

Schon mal umgedacht? Darüber, wie wir in Zukunft vorwärtskommen?

Cem Özdemir hätte sich gerade beinahe mit allen Kräften einen dicken Minister-Dienstwagen in einer Koalition gesichert, die genau wie andere denkbare Bündnisse weder mit Umweltschutz noch mit Frieden viel am Hut gehabt hätte. Weil die nächste Bundesregierung die Restlaufzeit der SUVs verlängern wird und sowieso dieser Tage viel zu viele in den Chor derer einstimmen, die das mit dem Klimawandel entweder für nicht so schlimm oder für ein Geschäftsmodell halten, ist eine konkrete Diskussion über die Mobilität von morgen unbedingt erforderlich. Es geht nämlich nicht um Klimawandel, sondern um Energieverbrauch. Bitte sehr, hier kommt ein kleiner Beitrag.

Autos? Noch immer?

Sie müssen jetzt stark sein. Es ist aber auch ganz einfach zu verstehen. Nichts, was uns Automobil-Großkonzerne derzeit als Lösung für die Mobilität von heute und morgen anbieten, ist nachhaltig. Das fossile Auto ist tot und kein Ersatz ist in Sicht. Ja, tot, durch, vorbei und zwar nicht nur, weil Diesel irgendwie schmutzig ist und Benzin dafür nicht die Lösung sein kann. Wir sollten längst über postapokalyptische Mobilität reden. Das ist die Mobilität, die nach dem sicheren Wegfall der fossilen Brennstoffe und der damit einhergehenden, massiven Verknappung verwertbarer Energie – das meine ich mit Apokalypse – noch funktionieren könnte.

Ein paar Klarstellungen: Mit Mobilität meine ich Individualmobilität, hier speziell per Auto. Jedes Fortbewegungsmittel mit deutlich mehr als 1 kW Leistung pro Person ist aus energetischer Sicht zu hinterfragen. Die Zahlenbeispiele hier sind grob gerundet. Bitte regen Sie sich darüber nur auf, wenn ich um Größenordnungen daneben liege – ich versichere, dass ich das auch genauer könnte, aber dann kann man sich die Zahlen nicht mehr gut merken. Mit Autofahrer meine ich selbstverständlich auch Autofahrerinnen. Die sind wichtig. Erfahrungsgemäß gehen Letztere nämlich etwas offener mit meinen nachfolgenden Gedanken um als die Jungs, deren Spielzeug ich gleich in die Tonne treten werde. Und noch ein Geständnis: Ich habe ein Auto. Ziel: es nicht mehr zu benutzen.

Ein Albtraum

Schließen Sie doch mal die Augen und reflektieren Sie kurz über das Auto. Ich mache Ihnen das mal vor. Ommmm – knapp anderthalb Jahrhunderte ist es den Automobilkonzernen nicht gelungen, etwas anderes als einen Haufen Blech mit vier Rädern unten dran und einem weiteren Rad vor dem Fahrer zu erfinden. Ommm – heute, Ende 2017, sind unter dem Rad, an dem der Fahrer drehen muss, drei Pedale für zwei Beine. Ommmm – wie erbärmlich! Die Science-Fiction-Romane meiner Jugend haben mir schon für das Jahr 2000 mehr versprochen! Eine Siebzehnjährige, die ich mal auf einer verlassenen Teerfläche ihren allerersten Meter mit dem Auto fahren ließ, fragte sich und mich ebenfalls, welcher Depp sich das denn so ausgedacht hätte. Ommm – das Irrste ist aber, dass man heute glaubt, mehr als eine, und bei SUVs nicht selten zwei Tonnen Stahl, Plastik, Gummi, Stoff und Unterhaltungselektronik samt Klimaanlage bewegen zu müssen, um seinen Körper von A nach B befördern zu können. Ommm – ein Auto wiegt mehr als das Zehnfache seiner Nutzlast. Wäre es ein Rucksack, wer würde den kaufen?

Was für ein aberwitziger Energieverbrauch! Moderne Autos brauchen fünf, sechs, sieben, acht, die so genannten Luxusmodelle noch mehr Liter Sprit, um 100 km zurückzulegen. Ein Liter bringt 10 kWh Energie. Bei Vollgas-Beschleunigung mit einem PKW wirken 100 kW mechanische Leistung auf die Straße. Dazu kommen noch mal 200 kW schiere Heizleistung in die Atmosphäre, infolge einiger ungünstiger, aber unumgehbarer Naturgesetze, bekannt als Hauptsätze der Thermodynamik. Pro Kilometer entstehen 150 g CO2, pro 100 km macht das 15 kg. Das Abgas wiegt dreimal so viel wie der verbrauchte Treibstoff, weil der Hauptbestandteil von CO2 ja der ehemalige Sauerstoff (O2) aus unserer Atemluft ist. Die wird nicht zentnerweise in den Tank gefüllt, sondern muss zwecks Verbrennung hundertkubikmeterweise aus der Umwelt eingesaugt werden. Das ist alles kompletter, kranker Wahnsinn. Verstärkt wird dieser noch durch die Tatsache, dass fossiler Sprit gar nicht bei uns in Deutschland vorkommt, die Fördermaxima aller Ölquellen dieser Erde längst überschritten und die meisten Öl fördernden Staaten entweder von Krieg oder fragwürdiger Führung gezeichnet sind (1).

Es gibt keine sparsamen Autos

Vergleichen wir den Energieverbrauch eines PKW doch mal mit der Leistung eines sportlichen Menschen: gute 100 W Dauerleistung sind für den schon viel – hundertmal weniger als ein Auto. Für 1 kWh (also den Gegenwert eines Sektglases voll Diesel) müsste der Mensch einen Arbeitstag lang im Hamsterrad Strom erzeugen. Für einen ganzen Liter Diesel sind zwei Wochen harte, monotone, körperliche Arbeit am Generator nötig. Ein modernes Auto fährt mit diesem Liter dann 20 Kilometer weit. Mit einem Liter Diesel (das Gleiche wie Heizöl) bekommt man ein Einfamilienhaus im Winter für viele Stunden kuschelig warm. Dafür nur 20 Kilometer? Ich bleibe dabei: Das Auto ist durch, denn sein Energiebedarf ist abartig.

Der bloße Ersatz des Verbrennungsmotors durch einen Elektromotor macht es leider noch nicht besser. Nicht umsonst mahnen auch vernünftige Menschen wie Ernst Ulrich von Weizsäcker (2) sinngemäß davor, jetzt nicht in wilder Panik die Elektromobilität zu erzwingen. Ich verstehe das so: bis uns nichts Besseres eingefallen ist als ein Auto der heutigen Gewichts- und Leistungsklasse mit vier Rädern und einem Rad, an dem der Fahrer drehen muss, damit sich die Fahrtrichtung ändert … Andererseits ist der Elektromotor schon mal der Richtige. Er muss halt viel kleiner sein. Mit Elektromotoren geht das, Verbrenner tun sich da schwer. Man kann Explosionsmotoren abwürgen und braucht eine Kupplung. Ein Elektromotor läuft aus dem Stand mit hohem Drehmoment an. Keine weiteren Details – der technisch interessierte Leser kann die Liste fortsetzen.

Streichen wir das heutige Auto also, denn es ist und bleibt ein Fossil. Und jetzt? Wir müssen doch aber mobil sein! Und die Arbeitsplätze! Und die Dividendenausschüttungen an die kleinen und großen Aktionäre! Bla-bla-bla. Spätestens dann, wenn die Primärenergiequelle weg ist, müssen wir sowieso umdenken. Wieso nicht schon vorher? Meine These lautet: Wir können es uns auf Basis heutiger Technik gar nicht leisten, mit dem herkömmlichen Auto mobil zu sein. Das hat rein gar nichts mit Geld zu tun. Der Geldvorrat vermehrt sich, ist also schon aus diesem Grund nicht mit einem Rohstoff zu vergleichen. Rohstoffe verschwinden. Für fossile Brennstoffe gibt es kein Recycling. Die Lage ist ernst.

Kein Ausweg denkbar? Doch!

Jetzt hat der wache Leser schon sein „Aber“ auf den Lippen. Richtig: Es gibt ja noch Fahrräder, e-Bikes, und Lastenräder boomen sogar, vielleicht weil alles boomt, was groß, sperrig und nicht ganz zu Ende gedacht ist. Was ist denn mit denen? Der Autofahrer winkt ab: keine Sicherheit, was ist im Winter und/oder bei Schmuddelwetter, wie mit dem Fahrrad zwei Getränkekästen transportieren und so weiter. Ja klar, aber doch nicht zum fünfzigfachen Energieverbrauch!

Genau über so etwas denkt einer wie ich nach. Ich werde jetzt nicht sagen, wie meine Firma heißt, auch nicht, woran sie arbeitet, nur wie. Keine Schleichwerbung an dieser Stelle, denn dafür ist das Thema zu ernst und es gibt zu viele Lösungen – vielleicht nicht mal unsere.

Zweifel an Konzernen und Behörden

In erster Linie beschäftigen wir Kleinunternehmer uns mit den riesigen, bürokratischen Hürden, die man sowieso vor sich hat, wenn man eine Firma gründet. Es ist wirklich schlimm, aber dazu ein andermal mehr. Auch sei es der Phantasie des Lesers überlassen, sich auszumalen, wie hoch die Latte liegt, wenn man versucht, als eigenständiger Hersteller ein noch nicht beim Kraftfahrtbundesamt gelistetes Fahrzeug oder gar eine ganze Fahrzeugklasse in den öffentlichen Straßenverkehr einzuklinken. Die Vorschriften und Auflagen bewegen sich da in zwei Dimensionen, das heißt, die Welt ist – Stand heute – eine wild bewachsene Scheibe. Die erste Dimension ist die Sicherheit des Straßenverkehrs. Von der Idee her ist das völlig in Ordnung und der TÜV passt auf. Nur: Wer schon mal als Radfahrer fast von einem zwei Tonnen schweren SUV über den Haufen gefahren worden ist, dessen Fahrer gerade mit dem Großbildschirm des Navis beschäftigt war, der zweifelt. Der Fahrer des SUV, der weiß, dass er mit dem Leben anderer spielt, macht das natürlich vernünftigerweise nur auf freier Strecke, Tempomat auf 102 km/h. Kilometerweise blind für alles, was am Straßenrand kreucht ist er dann. Seine auf Autos getrimmten Sinne detektieren vielleicht noch ein entgegenkommendes Fahrzeug, und schon hat der Radfahrer schlechte Karten. Ich würde gerne verstehen, wieso so etwas genehmigt wird.

Und schon wundere ich mich über den nächsten Exzess: die zulässige Breite von bis zu drei Metern bei landwirtschaftlichen Gespannen, vorzugsweise für Gülle. Symptomatisch und prophetisch ist das! Nein, Masse und Leistung heutiger Fahrzeuge können beim besten Willen nicht auf der Sicherheitsidee gewachsen sein. Gut, als Erklärung gäbe es noch die zweite, wichtigere Dimension, den Konzernschutz. Der Gesetzgeber, Personalunion mit einem entsprechenden Lobbyisten eher Regel als Ausnahme, sagt zusammengefasst: Was nicht aus (m)einem Automobilkonzern stammt, darf nicht auf die Straße. Warum? Weil kein Kleinunternehmer und erst recht kein Startup, vulgo unberechenbarer Konkurrent, auch nur ansatzweise die Mittel hat, sich durch den komplexen Dschungel der Vorschriften zu fräsen und deshalb scheitern muss.

Sie vermissen Dimensionen wie den Umweltschutz, wo beispielsweise der Katalysator, die Wunderwaffe gegen giftige Abgase der Benziner, einzuordnen ist? Das ist alles komplett gelogen, siehe oben und siehe Diesel-Skandal. Der Drei-Wege-Kat-Skandal ist doch schon in der Schublade und kommt heraus, wenn alle von Diesel auf Benzin umgestiegen sind. Die Lösung? Subventionierter Neukauf, also Profit, wie immer.

Anders durch Ungehorsam

Es ist schade, dass die Konzerne nichts anderes im Blick haben als Zweitonner mit Riesenleistung, vier Räder unten, eines vorm Fahrer, und uns für den Profit ganz weniger Personen energetisch um unsere Zukunft bringen. Mir fehlt jegliches Vertrauen und der Glaube, es könnte von denen noch was anderes kommen, deshalb habe ich mich aufgemacht, gegen all die Widerstände etwas auf die Straße zu bringen. Sie ahnen es: Etwas ganz kleines, denn mehr geht nun einmal nicht. Denken Sie es sich noch kleiner. Wozu: das Übliche, also zum Beispiel der Einkauf inklusive Getränkemarkt und die Fahrt zur Arbeit oder ins Grüne. Solar oder vom Wind betrieben, denn Sonne und Wind haben wir. Öl haben wir nicht, und ich persönlich habe auch schon immer ein Problem damit, für Treibstoff den Orient zu bombardieren, kanadische Flusslandschaften umzupflügen oder Extraktionsmittel in den Boden zu pumpen, denn das verlängert eben nur die Frist bis zum nahen, sicheren Ende.

Bevor ich jetzt als Betreiber einer hoffnungslosen Bastelbude für irgendwelchen Mobilitätskleinkram mit wirren politischen Ansichten untergehe, noch ein paar Anmerkungen zum empfohlenen Weg. Es geht mir dabei heute nicht darum, dass meine Firma überlebt (keine Sorge!), sondern darum, dass wir alle den beschriebenen Wahnsinn überleben.

Zum einen wäre anzumerken, wie ich mir aus Unternehmersicht eine friedliche Revolution hin zur nachhaltigen Mobilität vorstellen kann: Genau so wie wir es machen, nur eben ganz viele von uns. Klein, unabhängig und übersichtlich muss das Geschäft sein, weil flexibel. Konzerne können das nicht, weil das strategische Korsett zu eng ist. Finger weg von Startup-Beratung und Gründerkredit – das geht erwiesenermaßen zu oft schief, und Kredit ist stets nur das Geschäft der Banken. Man kümmere sich nur um seine Idee. In den ersten Jahren muss halt noch ein Job her, mit dem man die Familie satt bekommt, bis das Ganze wirtschaftlich trägt. Falls Geld nötig ist: NIE zur Bank. Such Dir doch Kunden? Oder such Dir jemanden, der Geld hat, an Dich und Deine Idee glaubt und nimm ihn unbedingt mit an Bord, denn die Zeiten des anonymen Investors sind vorbei und Deine Idee ist zu schade dafür. Sich selbständig zu machen empfehle ich zuletzt aus mehreren Gründen nicht dem Berufsanfänger, sondern dem, der sich bereits von seiner Arbeit ernährt und ein wenig gespart hat. Auch dazu ein andermal mehr.

Den Aufschrei, den der letzte Absatz zur Folge hat, gedenke ich zu überhören, denn der ist mit Sicherheit neoliberal und neoliberal ist genauso reaktionär wie das fossile Auto. Und kommt mir bloß nicht mit Elon Musk! Den gibt es, klar, aber halt nur einmal! Von unserer Sorte hätte ich dagegen gerne viele, aus einem Grund: falls einer in die falsche Richtung läuft (gell, Elon?) ist die grundlegende, gar nicht so schlechte Idee anschließend nicht tot und der Schaden des „think too big to fail“ nicht gar so verheerend.

Vielleicht halten Sie mich für einen Spinner, ich selbst tue das überwiegend nicht. Ich halte Ihnen entgegen: Wer heute noch an das fossile Automobil glaubt…

Zum zweiten: wie werden wir produktiv? Einige Leser kennen vielleicht das Konzept der freien Software, das Ihnen am besten Richard Stallman erklärt (3). Das geht auch bei Hardware, denn die entsteht heute praktisch immer am Computer, also als Software. Diese Form von menschlicher Kooperation möge das Vorbild für eine Art „freie Mobilität“ sein. Frei? Es geht darum, dass jeder einzelne der Herr seiner Fortbewegung sein kann. Das ist heute nicht mehr so. Längst gängeln uns Konzerne, und die Behörden, angeblich unsere Staatsdiener, sind deren Erfüllungsgehilfen. Die heutige Massenlösung „fossiles Auto“ ist nicht nur deswegen, sondern vor allem mangels Nachhaltigkeit indiskutabel. An diesem Problem müssen viele arbeiten. Arbeiten? Genau, sogar Arbeitsplätze gibt es, nur eben nicht bei einem unserer tödlichen Automobilgiganten, sondern frei, kreativ, und sogar manchmal erst mal ehrenamtlich. Dazu vollkommen kooperativ. Es geht darum, den Knoten an Komplexität zu entwirren und auf das Wesentliche zu reduzieren, bevor das Privileg Mobilität der Mehrheit verloren geht. Wir befinden uns kurz vor diesem Zustand, und der ist nur aus einer Perspektive wünschenswert: Wenn die Mehrheit nicht mehr mobil ist, verdient auch kein Autokonzern mehr Geld.

Fazit

Von vorne haben wir also anzufangen und uns nur auf diese Aufgabe zu konzentrieren: Wie komme ich von A nach B, ohne der Umwelt, den Mitmenschen und meinen Kindern den erheblichen Schaden zuzufügen, den jede einzelne Autofahrt mit sich bringt. Ich behaupte: Das geht mit erstaunlich wenig Aufwand in fast allen Anwendungsfällen schon heute viel besser als mit dem Auto.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Daniele Ganser, Europa im Erdölrausch, Orell Füssli Veralg AG, 2012
(2) https://www.saarland.de/SID-0FE6488C-70DC9962/230534.htm
(3) https://www.youtube.com/watch?v=Ag1AKIl_2GM

( Dieser Beitrag erschien am 16.12.2017 auf Rubikon )