Fehlende Positionierung kritischer Journalisten

Die Nachdenkseiten veröffentlichten heute einen Videochat zwischen Jens Berger, Pedram Shahyar und Florian Kirner. Man könnte bei diesen bekannten linken Journalisten meinen, es ginge um die Unterstützung der Demonstrationen für das deutsche Grundgesetz, die dieses Wochenende erneut in fast allen deutschen Städten stattfinden. Weit gefehlt! Die Herren sortieren lieber die Protestierenden und ihresgleichen in Schubladen ein. Dazu ein Leserbrief.

Sehr geehrter Herr Berger,

ich gestehe, dass ich mir den genannten Videobeitrag nicht ganz angesehen habe. Nach den ersten elf Minuten, die von diversen Gruppierungen handelten und davon, dass im Magazin Rubikon Dinge veröffentlicht werden, die offenbar Herrn Kirner nicht mehr gefallen und die Sie gemeinsam eher dem esoterischen Spektrum zuordnen, fing ich an im Video zu springen. Ich fand noch eine Stelle, in der Herr Shahyar sein Unverständnis über das Nicht-Einhalten von Abstandsregeln auf Demonstrationen emotional zum Ausdruck brachte und die Menschen, die diese nach 300.000 Jahren Homo Sapiens vor ein Paar Wochen neu eingeführten Regeln missachteten, klar und deutlich als Idioten brandmarkte.

Ich schreibe selbst bei Rubikon, missachte zumindest gesunden Mitmenschen gegenüber die Abstandsregeln, falls nicht ausdrücklich erwünscht und verweigere die Maskenpflicht, der meine Mitbürger derweil mit bunten Baumwoll-Lappen zu genügen glauben. Ich habe über all das nicht nur einmal nachgedacht. Zugleich fühle mich von Ihnen direkt angesprochen und als esoterischer Spinner und Idiot verunglimpft.

Meine Herren, ich respektiere Ihre Meinung. Hätten Sie die Güte, sie auch zu begründen und nicht nur eine durchaus übersichtliche Anzahl an Schubladen mit Menschen wie mir zu befüllen?

Bei Rubikon schreibe ich, weil dort schon aufgrund des äußerst stattlichen Autorenkollektivs eben nicht nur Esoterisches zu lesen ist. Die eindeutige Positionierung des Magazins beim Thema Corona nenne ich Haltung. So diskussionswürdig oder provokativ mancher Beitrag, inclusive meiner eigenen auch sein mag, sollten Sie nicht in Abrede stellen, dass sich Rubikon bei der Einordnung der Gefahr durch das neue Coronavirus keineswegs auf entlegenen Umlaufbahnen bewegt, sondern nicht allzu weit entfernt von einer Realität, die längst auch wieder den Aussagen eines Dr. Wodarg oder eines Prof. Bhakdi Raum gibt, die trotz ausgewiesener Sachkenntnis aufgrund allseitiger Verwechslung von Fakten mit Emotionen massiv verunglimpft wurden.

An Pedram Shahyar, den ich, wie Sie alle drei im linken Journalismus verorte, stelle ich die Frage, ob er wirklich an Aerosolwolken in Kugelform mit exakt 1,5 m Radius glaubt, die am Atmungsorgan des Menschen ortsfest und mittig verankert sind? Ich glaube daran nicht – u.a. aus Kenntnissen in Verfahrenstechnik, Fluid- und Strömungsmechanik heraus, die mein Beruf mit sich bringt. Ich leite daraus keinen Grund ab, ein Idiot zu sein, wohl aber massive Zweifel an der Sinnhaftigkeit der gesetzlich eingeführten Abstandsregeln, die die mutmaßlich kerngesunde Bevölkerung derzeit einzuhalten hat. Können Sie diesem Argument folgen?

An Florian Kirner, der Rubikon dankenswerterweise mit gegründet hat, geht die Frage, ob es wirklich so schlimm um diese brilliante journalistische Idee bestellt ist, oder ob – mein deutlicher Eindruck – persönliche Befindlichkeiten bei der Bewertung eine Rolle spielen? Ich finde beispielsweise Artikel wie Das Corona Syndrom von Thomas Hardtmuth, einem Humanmediziner, alles andere als esoterisch oder unpassend. Ein Pauschalurteil erscheint mir daher unangebracht. Wie sehen Sie das?

Herr Berger, welchen Sinn hat es, als kritischer linker Journalist bei der Bewertung der Gefahr durch das Virus in das gleiche Horn zu tuten wie der Mainstream? In der Fernwirkung werfen Sie den kleinen deutschen Selbständigen, dessen Geschäft durch die Maßnahmen erwürgt wird, dem Großkapital zum Fraß vor. Ihre Meinung will ich Ihnen nicht nehmen. Ich möchte nur anregen, anstatt den Zug mit anzuschieben, der uns gerade überrollt, über Urlaub im Schweigekloster nachzudenken. Weil: Das Katastrophenszenario von WHO, RKI und Charité/Drosten, das sich zweifellos in Ihrem klugen Kopf etabliert hat, erscheint aus heutiger Sicht, um es höflich auszudrücken, ganz und gar nicht mehr alternativlos. Es wäre an der Zeit, Menschen wie mich, die Covid-19 seit Anbeginn für eine Grippewelle und Abstandsregeln und Maskenpflicht für überkommene, politisch motivierte Rituale übelster Prägung halten, mit etwas weniger Arroganz, oder eben gar nicht zu behandeln. Oder meinen Sie, es braucht auch noch Ihre Stimme, die Angst im Land weiter zu schüren?

Dass der öffentliche Diskurs ganz im Sinne des Establishments läuft, ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass es sonst so wortgewandten Journalisten wie Ihnen nicht gelungen ist, sich rechtzeitig zu positionieren. Ich hätte das, um es ganz klar zu sagen, von Ihnen allen dreien erwartet um das gewaltige Unheil zu verhindern, das nun sozial, psychologisch und wirtschaftlich über uns gekommen ist.

Zuletzt: hier schreibt ihnen kein Spinner oder Esoteriker, sondern ein parteiloser Naturwissenschaftler und Unternehmer, der die falsch ermittelten und mutwillig verdrehten Zahlen, mit denen in der Corona-Krise hantiert wird und deren Untauglichkeit für das Ableiten der aktuellen Maßnahmen, umfassend versteht. Ich rede von genau der Datenbasis, die Sie offenbar so sehr durcheinander gebracht hat, dass Sie beim Aufbau der dringend nötigen Gegenöffentlichkeit bisher genau so versagt haben, wie die politischen Parteien, denen Sie vielleicht nahestehen.

Sollten Sie tatsächlich eine größere Anzahl lieber Menschen an das Virus verloren haben, dann nehmen Sie bitte schon jetzt meine Entschuldigung an. Keinesfalls will ich Ihnen in Ihrer Trauer zu Nahe treten. Ich glaube allerdings eher, dass Sie, genau wie wir alle, demnächst Bekannte und Familienangehörige in nennenswerter Zahl an die heraufziehende Wirtschaftskrise und an die unsäglichen Maßnahmen verlieren, denen Sie, die Gefahr durch Covid-19 heillos überschätzend, nichts entgegengesetzt haben.

Ich hoffe, Sie verstehen und verkraften meine Kritik. Ich komme derweil mit nicht tiefer begründeten Kategorien wie Esoteriker oder Idiot, mit denen Sie mich im Video-Talk belegt haben sehr gut klar und freue mich auf die weitere Entwicklung des öffentlichen Diskurses.

Mich treffen Sie heute auf der Straße. Ohne Mundschutz.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schell

Nachtrag vom 19.05.2020. Der Video-Chat in den Nachdenkseiten hat offenbar nicht nur mir missfallen. Hier die Leserbriefe in den Nachdenkseiten.